Raum für Begegnung

Es ist nun etwa 10 Jahre her, daß ich begonnen habe Monochorde zu bauen und etwa fünf Jahre, seit die ersten Ideen und Bewegungen zu den Klangkörpern sich entwickelten. Die Klangkörper, die in diesem Zeitraum entstanden, hatten alle einen bestimmten Anlaß: Ich baute sie für Kinder, für Erwachsene, für die Kinder und Jugendpsychiatrie und behinderte Menschen. In jeder einzelnen Aufgabe offenbarten sich ganz eigene Schätze: Das Schaukeln, das Im Klangkörper Sein, transparente Schutzräume, durchlöcherte Grenzen. Mit der Zeit fingen dann auch die Schätze der Kinder für die Erwachsenen, die Schätze der Psychiatrie für behinderte Menschen..... zu leuchten an und durchdrangen sich gegenseitig. In diesem Artikel möchte ich gerne mit Ihnen Hintergründe, Geschichten, Erfahrungen und Gedanken zu den Instrumenten teilen.
 
 

DAS MONOCHORD – Die Grundlage
     

Die Wurzeln des Monochords liegen im Musikbogen, der in einigen Kulturen auch als Jagdbogen verwendet wurde. In der ursprünglichen Form wurde er mit einem Ende im Mund gehalten und mit den Fingern oder einem Stock gespielt. Der Mund bildet dabei den Resonator, der die erzeugten Töne verändert und verstärkt.

Die zweite Wurzel liegt in der Erdzither: Über eine mit Rinde bedeckte Grube, die als Resonator wirkt, wird eine Saite zwischen zwei in den Boden gesteckte Hölzer gespannt. Diese Saite wird häufiger geschlagen als gezupft.

     
            

Das Monochord (griech. Einsaiter) wurde von Pythagoras zum Messen von Intervallen einer Tonleiter entwickelt. Es bestand aus einer einzigen Saite, zwei auf einem Resonanzkasten fest montierten Stegen und zwei weiteren beweglichen Stegen.
Bei dem heute gebräuchlichen Monochord handelt es sich um einen Resonanzkasten, der mit einer Vielzahl von Saiten bespannt ist. Die Saiten haben alle die gleiche Stärke und Länge und sind auf denselben Ton gestimmt. Beim Darüberstreichen mit den Händen, dem Bogen oder.... entwickeln sich eine Vielzahl von natürlichen Obertönen. Durch die Unterteilung der Saiten mit Stegen besteht die Möglichkeit, eine Tonfolge (Skala) einzustellen.
Heute finden wir das Monochord vor allem in der Musiktherapie, der harmonikalen Forschung, der Klangmeditation und in freien Musikformen.

Meine erste Begegnung mit einem Monochord hatte ich in einer Gesangsstunde. Nach verschiedenen Gesangsübungen machten wir eine kleine Pause und mein Lehrer schlug mir ein Experiment vor. In einem Baukurs hatte er ein Monochord gebaut. Er lud mich ein, mich hin-zulegen, mich zu entspannen und die Klänge auf mich wirken zu lassen. Ich weiß nicht mehr genau, wie lange ich gelegen habe. Ich weiß nur noch: Mein Singen klang danach ganz anders. Es war viel voller und reicher und es fühlte sich "so" gut an. Zu dieser Zeit hatte ich meine Ausbildung als Tischler schon hinter mir. Interessiert begann ich diese "Kiste mit den vielen Saiten" genau zu untersuchen und stellte fest, daß sie sehr einfach gebaut war. So faßte ich den Entschluß, mir auch so ein Monochord zu bauen. Und da zwei Freunde auch ganz begeistert waren, baute ich gleich drei. Dies war der Beginn meines Instrumentenbaus.
Es folgten mehrere Jahre, in denen ich viele "Kisten" baute, auch experimentierte mit Körpern aus Vollholz, elektrische Monochorde, welche zum Kurbeln und auch edle "Porsches" mit gewölbten Decken und eleganter Aufhängung.
 
 

DAS KINDERMONOCHORD - Der Dialog

In diesem Abschnitt möchte ich Sie gerne vertraut machen mit der Entstehungsgeschichte des Kindermonochords und einem immer wiederkehrenden zentralen Punkt meiner Arbeit:
Dem Dialog.
Im Frühjahr 1990 besuchte mich eine befreundete Erzieherin mit ihrem dreiviertel Jahre alten Sohn Johannes in meiner Werkstatt. Wir wollten uns in Ruhe unterhalten und so legte ich Johannes meine alte, sehr robuste Sperrholzgitarre zum Spielen auf den Boden und wir setzten uns auf die Hobelbank. Langsam und in aller Ruhe begann Johannes mit großer Freude die Gitarre zu erkunden: Er zog sie über den Boden, setzte sich darauf, spielte mit den Saiten, streute Hobelspäne in das Schalloch und .... Unsere Aufmerksamkeit richtete sich immer mehr auf sein Spiel und wir fingen an zu fragen "Was braucht ein Kind für ein Instrument?". Gleichzeitig stellten wir fest, daß es kaum Instrumente gibt, die Kindern in ihrer Ganzheit entsprechen. Aus der naheliegenden Frage, wie denn ein Kindermonochord aussehen könnte, entwickelten sich unsere ersten Ideen: Ein Monochord, dessen Resonanzraum gleichzeitig zum durchkriechen ist; das Instrument soll robust und verletzungsfrei sein; das Instrument soll zum Spielen anregen - nicht nur musikalisch - und Erlebnisraum bieten.
Das Projekt ruhte dann etwa ein Jahr bis zwei Musiktherapeutinnen der Frühförderstelle auf mich zukamen und ein Monochord für ihre Arbeit kaufen wollten. Ich teilte ihnen mit, daß ich ein normales Monochord mit Resonanzkasten für Kinder nicht geeignet fände. Daraufhin erzählte ich ihnen von meinem schlummernden Projekt und einem alten Monochord mit Vollholzkörper, das durch seine Robustheit (man kann z.B. drüberkrabbeln) und seinen feinen Klang (ein Vollholzkörper entwickelt ein sehr ausgeglichenes, gleichmäßiges Klangbild) für Kinder geeignet schien. Spontan entstand die Idee, eine viereckige, stabile Röhre aus Vollholz zu bauen und eine Außenseite als Monochord zu bespannen. Als wir auseinander gingen, waren wir alle ganz begeistert und konnten es kaum erwarten bis es los ging.
Nun fuhr ich aber erst mal vier Tage später für eine Woche zu einem Meditationskurs. Als ich wieder zurückkam wurde mir bewußt, daß ich das Monochord immer noch aus der Sicht des Erwachsenen betrachtete und beschloß, die Kinder innerlich zu fragen, wie sie sich das Monochord wünschen. So sah ich sie durch die Röhre krabbeln und nach einiger Zeit begann die Röhre sich zu bewegen. So war die Idee geboren, das Kindermonochord auch als Schaukel aufhängbar zu machen.
 
 

DAS KLANGBOOT - "Das innere Wesen gießen"

Nun begannen meine Freunde und ich uns ganz fasziniert in die Röhre zu zwängen, die Köpfe reinzustecken und uns im Klangkörper zu schaukeln. Doch mit der Zeit gaben wir zu, daß uns die Röhre zu eng und der Klang Einigen zu vehement war. So entstand für uns das Klangboot.
Der Klang der 40 auf einen Ton gestimmten Messingsaiten an der Unterseite des Bootes, die seitliche Beplankung, ein als Himmel aufgespanntes Seidentuch, das Schaukeln, die Haltung des Spielers; all das unterstützt bei dem Liegenden ein Gefühl der Geborgenheit und des Getragenseins und beim Spieler das Gefühl "Ich bin ganz für dich da".
Im Sommer 1994 besuchte ich ein Familien-Retreat in Plum Village, dem Meditationszentrum von Thich Nhat Hanh in Frankreich. Angeregt durch die liebevolle Achtsamkeit in dieser Gemeinschaft, habe ich die Arbeit mit dem Klangboot "das innere Wesen gießen" getauft. Ich verstehe darunter uns gemeinsam beim Klangbootfahren unserem inneren Wesen zuzuwenden, das bei jedem da ist, um das wir uns meist aber gar nicht kümmern und das nur darauf wartet, von uns gegossen zu werden.
Man könnte als Bild auch nehmen: Jeder von uns, ob Mann, ob Frau hat ein Baby des Verstehens, des Erwachens und des Liebens im Bauch. Und um das sollten wir uns kümmern, so wie eine Mutter sich liebevoll um ihr Kind im Bauch kümmert. Das Spiel mit dem Klangboot ist ein Bild dafür, eine Möglichkeit, es gemeinsam leben zu lassen. Auch wenn wir vielleicht am Anfang denken,’wir können das nicht, wir haben zu viele Sorgen, wir haben doch heute noch anderes vor ....’
Hier möchte ich Sie einladen, eigene Bilder und Erfahrungen in Anspruch zu nehmen um diesen Text zu verstehen.
 
 

DIE KLANGSCHAUKEL - "Ein Freund für alle Fälle"

Im folgenden möchte ich ein Erlebnis mit einem Kind schildern. Ich habe es "ein Freund für alle Fälle" getauft.
Mit der Klangschaukel war ich in einer großen Behinderteneinrichtung in Würzburg. An diesem Tag gab es die Möglichkeit für Kinder und BetreuerInnen, diesen Klangkörper kennenzulernen. So kam auch ein fünf Jahre alter hyperaktiver, schwerhöriger Junge mit seiner Betreuerin. Sie hatte die Klangschaukel am Morgen erlebt und hatte das Gefühl, daß es Jens bestimmt gut tun würde, im Bauch dieses Instruments zu liegen und zu lauschen. Er schien jedoch nichts von diesem Plan zu halten und begann statt dessen die Löcher zu untersuchen und um das Instrument zu rennen. Keine Spur von eintretender Ruhe. Nun kam uns die Idee, seitlich Murmeln in die Löcher zu werfen, um Jens vielleicht dazu zu bringen, in die Klangschaukel zu klettern um sie herauszuholen. Aber er wollte auch Murmeln mit hineinwerfen und es machte ihm sichtlich Spaß, daß es immer lauter wurde. Irgendwann ging ihm das seitliche Reinwerfen zu langsam und er schüttete das ganze große Glas voller Murmeln an einer der beiden großen Öffnungen in die Klangschaukel und begann die Wippe in Schwung zu bringen. Nun schien er voll in seinem Element: Die Bewegungen wurden immer größer, es wurde immer lauter, die Murmeln sausten immer wilder in der gebogenen Bahn..... und auf einen Schlag flogen alle Murmeln aus der Klangschaukel auf den Teppichboden. Jens stand ganz ruhig da. Er hatte einen Punkt der totalen Stille erreicht.
In dieser Situation war die Klangschaukel dem Jungen ein Freund als wilder Spielkamerad, der seine Bahn für die wilden Spiele der Murmeln zur Verfügung stellte und sich ganz der großen Bewegung hingab.
An diesem Tag hat Jens Vertrauen gewonnen zu seinem Freund. Und wenn der Tag kommt, an dem er sich in die zartbewegte Geborgenheit seines Klangkörpers legen will oder einen Ruhepunkt in seiner Höhle sucht, dann ist es derselbe Freund, eben ein Freund für alle Fälle.
 
 

DER KLANGFREUND - "Berühren und Berührtsein"

Die Berührung, der Tastsinn ist der Sinn, der immer gegenseitig ist. Wir können sehen ohne gesehen zu werden, hören, ohne gehört zu werden usw., aber wir können nie etwas berühren ohne berührt zu werden (Steindl Rast 1994).
Dieses Berührtsein erlebe ich immer wieder, vor allem in der Begegnung mit behinderten Menschen und mit Kindern: Da beginnt die verkrampfte Hand eines behinderten Kindes sich beim Spielen der Saiten zu entspannen, da sucht der Körper des Kindes intensiven Kontakt mit dem Instrument, das beim Berühren der Saiten mit seinem Klang antwortet und noch lange nachschwingt.
Der Klangfreund ermöglicht diese Berührung. Es ist sehr robust und handlich, die Saiten liegen mit geringem Abstand eng am Korpus; rechts und links von den Saiten ist eine breite Fläche zum Ein- und Ausgleiten der Finger bei der Streichbewegung; durch seine Gestalt regt es zu vielerlei Spielen an.

Am Ende möchte ich allen danken, die meine Arbeit unterstützt haben und ohne die diese Klangkörper nicht entstanden wären: Den Instrumentenbauern (ihrer Arbeitsweise und ihrem Verstehen von Instrumenten), den bildenenden Künstlern (z.B. ihrem Verstehen von Löchern und Räumen), den MotopädInnen (für ihre Freude an der Vielfalt von Bewegung) und allen, die mit ihrer Offenheit in der Begegnung mit den Instrumenten und den Menschen den Dialog und damit meine Arbeit bereichern. Mein besonderer Dank gilt den behinderten Menschen und den Kindern, die mir immer wieder Lehrmeister sind: Wenn sie Töne im Raum suchen, wenn sie mir zeigen, wie man den intensivsten Kontakt mit einem Instrument findet, wenn sie mit großer Ausdauer mit einem Instrument spielen und es in jedem Moment neu entdecken.

Der Artikel "Klangbewegung - Raum für Begegnung" erschien 1995 in der Zeitschrift "Lernen konkret - Unterricht mit geistig Behinderten".

P.S. In der Erfahrung hat sich gezeigt, daß alle Klangkörper, obwohl sie z.B. für Kinder, behinderte Menschen usw. entstanden sind, sehr vielseitig sind. So fühlt sich der Klangfreund auch bei Kindern, alten, kranken und ganz normalen Menschen zuhause. Die Klangschaukel (entstanden für die Kinder- und Jugendpsychiatrie) entfaltet ihre vielseitigen Spielmöglichkeiten auch mit behinderten Menschen und Erwachsenen .... (Welcher Klangkörper in welchem Umfeld? ist eine immer wiederkehrende wichtige Frage).